Zum 11. Mal fand im November der Deutsche Pflegetag in Berlin statt – und in diesem Jahr mit meiner Anwesenheit. Erstmals.
Ich hab mir schon viele Jahre vorgenommen, einmal vor Ort zu sein. Und in diesem Jahr wurde dieses Vorhaben endlich Wirklichkeit. Juhu!
Überblick
Der Deutsche Pflegetag 2024 stand unter dem Motto #PflegeZeigtHaltung und war damit insgesamt ziemlich politisch. Bei diesem Motto ging und geht es darum, Stellung zu beziehen gegen Diskriminierung, für Demokratie, Vielfalt und Zusammenhalt. Es ging darum, dass Pflege soziale Verantwortung übernimmt. Für die Würde aller einsteht. Dass Pflege eine Haltung ist.
Ich zitiere im Folgenden auszugsweise aus dem Programm:
„Die Werte unseres Grundgesetzes und des Ethikkodex des ICN – International Council of Nurses – müssen gelebt, verteidigt und umgesetzt werden. Als Profession Pflege stehen wir zu unserer Verantwortung und nehmen unsere Rolle in der Gesellschaft ernst. Das bedeutet auch, dass Organisationen und Parteien, die Menschen nicht in ihrer Gleichheit wahrnehmen, für beruflich Pflegende niemals eine Option sein können. Gleichheit und Würde – diese Prinzipien müssen von uns allen jederzeit und überall in Deutschland gelebt und umgesetzt werden. Wir als Profession stehen gemeinsam für Demokratie, für Vielfalt und gegen jede Form der Diskriminierung und Radikalisierung – und bringen dies auf dem DPT24 auch zum Ausdruck.
Deutschland benötigt ein Grundrecht auf eine gute pflegerische Versorgung und auf gute Rahmenbedingungen für Pflegende. Pflege in die Verfassung aufzunehmen, ist für unsere Demokratie unerlässlich und unterstreicht die gesellschaftliche Bedeutung der Profession.
Bund und Länder müssen die Pflege als wichtigen Bestandteil der Gesundheitsversorgung anerkennen und fördern. Sie müssen sicherstellen, dass eine ausreichende und zugängliche Pflege von hoher Qualität gewährleistet wird. Es muss gewährleistet sein, dass genügend qualifizierte beruflich Pflegende zur Verfügung stehen und entsprechend ihrer Kompetenzen eingesetzt werden.“
Das unterschreibe ich absolut. Dafür stehe auch ich.
Gehighlightet wurden auf dem diesjährigen Pflegetag folgende Themen:
Pflege.menschlich: z.B. berufspolitische Diskussion, Pflegekompetenzgesetz, Stand PPR 2.0, Personalbemessung (in der Langzeitpflege)
Pflege.vernetzt: z.B. KI, Telematik, Digitalisierung
Pflege.kompetent: z.B. Kernkompetenz Beratung und Edukation, Berufsbild APN. Community Health Nurse. Public Health Nursing
Pflege.nachhaltig: Klimaanpassung & Bildung, Essen in Zeiten des Klimawandels, Diskriminierung und Rassismus in der Gesundheitsversorgung
Pflege.selbst gestaltet: z.B. Kammerbildung, Berufsrechte
Pflege.up-to-date: Generalistische Pflegeausbildung, Kompetenzbestimmungen, ICN-Kodex, gesellschaftspolitische Verantwortung
Panels & Learnings
Aus der Fülle an Veranstaltungen habe ich an den zwei Tagen insgesamt sechs Panels besuchen können, die ich im Folgenden kurz skizzieren möchte:
1. Eröffnung
Erstaunlich bewegend, emotional – und ausgebucht bis auf den allerletzten Platz (wie auch der Deutsche Pflegetag an sich mit über 9000 Teilnehmenden!).
Besonders beeindruckend waren natürlich die Reden vom (noch) Gesundheitsminister Karl Lauterbach sowie von der Vorsitzenden des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler.
Während Lauterbach vor allem darauf verwies, dass (leider) noch ausstehende (aber zugesagte …) Gesetze es teils sicherlich noch in der (schneller als erwartet endenden) Legislaturperiode schaffen würden und insgesamt die tolle Zusammenarbeit mit dem Deutschen Pflegerat auf Augenhöhe und ohne größere Querelen lobte, schlug Frau Vogler kritischere Töne diesbezüglich an, verwies aber auch darauf, dass Legislaturperioden sowie Parteien kommen und gehen … im Vergleich zur (professionellen) Pflege, die immer da ist. Auch sie fand allerdings lobende Worte für die gute Zusammenarbeit in den letzten Jahren mit Lauterbach und betonte, dass kein Gesundheitsminister der letzten Dekade und darüber hinaus so vieles für die Pflege auf den Weg gebracht habe (was ich im Übrigen ebenso sehe).
Leider ist auf der letzten Etappe nun durch die zu stellende Vertrauensfrage von Kanzler Scholz und (voraussichtlich) anstehende Neuwahlen leider auch einiges Wichtiges für die Pflege auf der Strecke geblieben … hoffen wir das Beste …
Sehr bewegend war zudem die Verleihung des Pflegepreises, der in diesem Jahr an Dr. Peter Nydahl ging. Eine sehr ergreifende Videovorstellung wie auch Rede stellte den Pflegefachmann in seinem Werdegang und heute vor. Nydahl bildete sich auf Basis einer Erstfortbildung bei Prof. Christel Bienstein – nach eigenen Angaben eine völlig Welt verändernde Erfahrung für ihn – zur Basalen Stimulation weiter bis zum Weiterbildungsleiter in diesem Bereich und wurde auf Basis dessen Experte für Menschen im Wachkoma. Fortan waren seine Schwerpunkte die Förderungs- und Rehabilitationsmöglichkeiten von Patient*innen von Intensivstationen. Er veröffentlichte zu diesem Thema, baute ein weitreichendes Netzwerk auf und entwickelte die mittlerweile vielfach verbreiteten Intensivtagebücher mit. 2013 qualifizierte er sich zum Bachelor of Science in Nursing, 2016 zum Master. 2020 promovierte er mit magna cum laude zum Thema „Frühmobilisierung von Intensivpatient*innen“ in Lübeck. Seit 2021 habilitiert er an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität zum Thema Delir.
Bei der Preisverleihung war ihm die Rührung darüber sehr anzumerken. Darüber hinaus wirkte er sehr nahbar und noch immer dicht an der Pflege selbst, was ihm Standing Ovations durch das Publikum einbrachte.
2. Gesundes Essen in Zeiten des Klimawandels
Das erste Panel, das ich nach der Eröffnung besuchte, war zugleich mein persönliches Highlight des Pflegetages. Als Speaker wurde ich vor allem durch Niklas Oppenrieder (MD) abgeholt, seines Zeichens Gründer und Chairman of the Board der Physicians Association for Nutrition International (PAN). Seine hergestellten Bezüge von versteckten Kosten unseres aktuellen Ernährungssystems (ca. 15 Billionen (!) USD/Jahr) und der Verbindung von Zoonosen bedingt durch bestehende Systeme, der Bezug von Umweltkatastrophen und -phänomenen auf dieser Basis traf absolut einen Nerv bei mir. Ich habe mich sehr über den später folgenden Austausch mit ihm gefreut und bin mir ziemlich sicher, dass dies nicht der letzte gemeinsame Kontakt gewesen sein wird.
Interessant waren auch die Informationen von Dr. Juliane Bojahr zur Ernährungsstrategie der Bundesregierung (BMEL), deren Entstehung, Entwicklung und Ziele. Leider konnte ich aufgrund der Kürze der Zeit hier (noch) keine Informationen über den Impulsvortrag hinaus erlangen.
Beeindruckend waren auch die Schilderungen von Oecotrophologin Veronika Scharper zu Hürden, Bedarfen und Chancen aus der stationären Langzeitpflege. Am Fallbeispiel einer Bewohnerin mit Morbus Crohn bei zugleich fortschreitender Demenz schilderte sie eindrucksvoll, wie dennoch eine Steigerung des BMI von knapp 14 (!) auf 18 erreicht werden konnte.
3. Nachhaltig ohne Nachteile
Dieses Panel der BG-Kliniken war vor allem ausgerichtet auf die strukturelle Strategie in Bezug auf Klimafreundlichkeit. Hinzu kamen Bemühungen der M.A. Gesundheitswissenschaften Ulrike Krol in Bezug auf Hitzemanagement.
Spannend war hier vor allem zu erfahren, dass 6% aller nationalen Emissionen (Stand 2019) aus dem Gesundheitswesen stammen. Kliniken produzieren hierbei laut Annegret Dickhoff (Referentin Klimaschutz der BG-Kliniken) allein ca. 7-8 Tonnen Müll/Tag und sind damit fünftgrößter nationaler Müllverursacher.
Krol hingegen referierte über ihr Masterprojekt zum Hitzemanagement, stellte die Erstellung der Heatmap einer Station sowie daraus resultierende Maßnahmen vor.
4. Fördern Strukturen und Selbstverständnis Diskriminierung und Rassismus in der Gesundheitsversorgung?
Um eine kurze Antwort vorweg zu nehmen: Ja.
Eingeleitet wurde dieses Panel durch Dr. Cihan Sinanoglu, dem Leiter des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors NaDiRa. Er stellte eindrucksvoll und mit verschiedenen Untersuchungen belegte Ergebnisse bisheriger Forschung zum Thema dar. Schon mal darüber nachgedacht, dass zum Beispiel Hautscreenings auf die Haut von Menschen mit weißer Hautfarbe ausgelegt sind und die anderer Hautfarbe überhaupt nicht erfassen? Dass bestimmte Untersuchungen (z.B. HIV/STI-Testungen) Frauen verwehrt oder umgekehrt „untergejubelt“ werden, weil man sie hypersexualisiert oder ihnen gegenteilig eine unterdrückte Sexualität zugeschrieben wird? Oder dass Terminvergaben bei Klang/Assoziation verschiedener Ursprungsnationalitäten (z.B. Nigeria/Türkei) eher negativ beschieden werden, insbesondere bei psychotherapeutischen Angeboten? Dass hierbei noch nicht einmal Intersektionalität berücksichtigt ist (z.B. PoC mit Behinderung)?
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion wurden weitere Felder angerissen: Was macht eigentlich queerfreundliche Arbeitgeber aus abseits der Abwesenheit von Diskriminierung? Welche Anlaufstellen gibt es für Beratung, bei Konflikten zum Thema, zur Unterstützung – und wie unterscheidet man sie bzw. worin liegt die jeweilige Expertise?
5. IT & Pflege
Leider sehr IT-lastiges Panel mit den üblichen „Übersetzungs“- bzw. Verständnisproblemen bzgl. pflegerischer Anforderungen. Dennoch ganz interessant im Hinblick darauf, dass es oftmals bereits an der Infrastruktur hapert (die weiterhin großflächig nicht wie wünschenswert gegeben ist – #neuland). Hier gab es auch viel Diskussion rund um die notwendigen Investitionen in diesem Sektor, über (unzureichende) Anschubfinanzierung durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) sowie um die Innovationen aus Start-Ups.
Hier hätte ich mir deutlich mehr positive Stimmen und Aufbruchsstimmung gewünscht, denn Digitalisierung existiert als Thema schließlich nicht erst seit gestern.
Dementsprechend gab es auch einige recht fordernde Wortbeiträge aus dem Publikum von Mitgliedern von Care for innovation.
Insgesamt fehlte mir hier im Panel der konkrete Pflegebezug ein bisschen (nur eine einzige Pflegefachperson mit digitalisierter Pilotstation mit leider geringem Wortanteil gegenüber ITlern und BWL-Entscheider).
6. Pflegerische Lernkompetenz Beratung und Edukation
Dr. Suhr stellte in diesem Panel zunächst das PIP-Assessment vor, ein Assessment für Prävention und Intervention in der häuslichen Pflege. Mit diesem kann ein Beratungsprozess strukturiert und auf wissenschaftlicher Fundierung beruhend geführt werden. Es lassen sich Problem- und Risikobereiche identifizieren und auch Beratungsbedarfe priorisieren. Dieses softwarebasierte Assessment kann man kostenlos nutzen. Hier gibt es dazu weitere Infos.
Sehr beeindruckend fand ich auch den Beitrag von Prof. Dr. Sandra Bensch, der sich mit der Umsetzung pflegerischer Beratung und deren Gelingen befasst. Abseits von rechtlichen Vorgaben, die gegeben sind (oder eben nicht …) stellte sie Anforderungen an Pflegefachpersonen in den Fokus: Es braucht eine reflektierte Haltung, eine sensible und aktive Sprache und die Fähigkeit zur Adaption an spezifische Populationen.
Wichtig in diesem Panel: Beratung schafft Versorgungsqualität und -sicherheit für die Bevölkerung.
Was ich beim nächsten Mal ändern möchte
Eigentlich war und bin ich immer sehr gern auf Kongressen und Messen unterwegs, weil ich den Input und den Austausch dort sehr schätze. Seit dem Corona-Lockdown war dieser Pflegetag nun erst wieder die zweite Veranstaltung dieser Art, die ich besucht habe und ich muss gestehen: Ich bin ein bisschen aus der Übung.
Ich habe so einige Dinge bemerkt, die ich auf meine Liste der zu beachtenden Aspekte setzen werden, zum Beispiel zur Wahl der Unterkunft, Reisemodalitäten, Gepäck, Verpflegung und Zeitplanung. Eigentlich wäre das einen eigenen Blogartikel wert, oder?
Und sonst?
Wie man sehen kann, waren diese zwei Tage selbst in stark eingekürzter Form wie hier wiedergegeben SEHR gefüllt. Zu vielen Themen würde sich die Aufarbeitung in eigenen Artikeln mit mehr Detailinformationen wirklich lohnen.
Ich würde mich da über Rückmeldungen freuen. Was interessiert dich denn am meisten oder wozu würdest du dir mehr Infos wünschen?