Was ist evidenzbasierte Pflege?

Aufgeschlagener Expertenstandard Ernährungsmanagement

Vor Jahren war der Begriff „evidenzbasiert“ plötzlich und gefühlt wie aus dem Nichts in aller Munde. Und nicht nur dort, sondern er fand auch sehr schnell Eingang in Artikel, Lehrbücher, Fachbücher. Nur verstanden haben diejenigen, die nicht direkt durch Lehre oder anderes mit Praxisentwicklung im engeren oder weiteren Sinne verbunden sind, ihn oftmals nicht. Eine bestimmte Technik, nach der man jetzt pflegen soll? Was ist daran anders? Wo kann man das lernen? Dabei wurde etwas sehr Simples und im Grunde auch Selbstverständliches zu einer ominösen Wolke.

Was bedeutet also evidenzbasiert?

Im Grunde heißt das nichts anderes, als nach aktuellem Wissensstand zu pflegen. Also das, was wir ohnehin tun (sollten). Evidenz bezeichnet sehr kurz gefasst die Gesamtheit eines Wissensstandes (in Bezug auf eine bestimmte Fragestellung oder zu einem bestimmten Thema). Es ist praktisch gesehen also einfach der Schritt weg vom „Haben wir immer schon so gemacht“ und anekdotischem Wissen, hin zum messbaren, nachvollziehbaren und übertragbaren Wissen.

Und wozu ist das gut?

Früher nahm man beispielsweise an, dass Menschen bei gleichen Beschwerden/Ereignissen auch die gleichen Schmerzen haben. Entsprechend wurden hierbei jeweils die gleichen Schmerzmittel in Art und Menge ärztlich verordnet und im Anschluss pflegerisch verabreicht. Dieses Vorgehen berücksichtigte keine individuellen Unterschiede, Einflussfaktoren, wirksame Varianten/Alternativen und derlei mehr.

Wenn also das Vorgehen so nicht funktionierte und jemand dennoch Schmerzen äußerte, lautete die Reaktion: „Kann nicht sein.“

Die bessere Frage ist aber: „Warum?“

Aufgeschlagener Expertenstandard ErnährungsmanagementErst durch entsprechende Forschungen wurde es im Verlauf der Zeit möglich, den bisherigen Blickwinkel zu überdenken und im Verlauf Anpassungen und Verbesserungen vorzunehmen.

So wurde 1996 erstmals das WHO-Schmerzschema veröffentlicht, damals noch primär für Tumorpatient*innen. Dies wurde im Verlauf der Zeit ausgebaut und weiterentwickelt.

Auf dieser Basis (und auf Basis von systematischen Literaturreviews) wurde 2011 dann der Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen veröffentlicht. 2015 folgte der pflegerische Expertenstandard bei chronischen Schmerzen.

Da man beim Forschen selten an einem bestimmten Punkt „fertig“ ist, werden Expertenstandards alle paar Jahre aktualisiert und neu hinzugekommenes Wissen integriert. So wurden die beiden Expertenstandards zum Schmerz 2020 zuletzt aktualisiert und auch zusammengeführt.

Heute weiß man, dass Schmerzen ein sehr individuelles Erleben mit vielen möglichen Einflussfaktoren sind und es keine pauschalen Lösungen für das Handling gibt. Wohl aber gibt es konkrete Möglichkeiten, Schmerzen zu erfassen und ihnen zu begegnen, ob nun medikamentös oder durch andere Interventionen.

Also haben wir früher falsch gepflegt?

Nein. Vom heutigen Wissensstand aus gesehen mag es da Fehler auf Basis falscher Annahmen gegeben haben, aber dieser Wissensstand – also diese Evidenz – war ja zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Man ging also durchaus immer nach bestem Wissen vor. Mehr als das kann man nicht tun.

Es kann auch sein, dass der aktuelle Wissensstand in einigen Jahren wieder andere/bessere Lösungen für (Teil)probleme hat. Genau darum sammelt man Wissen und aktualisiert es immer wieder auf Basis neuerer Untersuchungen und Erkenntnisse durch Befragungen, Messungen, Evaluationen. Man entwickelt sich weiter.

Gilt das nur für die (professionelle) Pflege?

Evidenzbasierung gilt für alle möglichen Bereiche und Branchen. Vielfach ist sie dort aber länger verankert oder selbstverständlicher.

Wenn jemand sagt: „Hey, ich denke auf Basis von X, wir können Autos verbessern, indem wir Y einsetzen“, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man das prüft und dann umsetzt. Niemand käme auf die Idee, deswegen alle bisherigen Modelle komplett in Frage zu stellen oder vom Markt zu nehmen.

In der Pflege arbeitet man aber mit Menschen. Mit Menschen, die bestimmte gesundheitliche Probleme haben oder vermeiden möchten. Die auf Unterstützung angewiesen sind. Und da kommt dann schnell der Gedanke auf, man hätte mehr tun können, etwas anders machen sollen, andere Dinge vorschlagen können. Und es kommt ein Gefühl der Unzulänglichkeit auf. Das Gefühl des schlechten Gewissens. Die nagende Idee, mit den neu gewonnenen Kenntnissen sei ein gesundheitliches Outcome von jemandem vielleicht (noch) besser ausgefallen.

Wie geht man damit um, dass vermeintliche Kenntnisse überholt sind?

Die beste Möglichkeit, damit umzugehen: Es positiv sehen.

Es ist gut, dass Dinge ständig hinterfragt und ggf. auch geändert werden. Das gilt auch und gerade für das so sensible Thema der Gesundheit.

Und es ist (sowieso) gut, wenn auch DU dich ständig hinterfragst, auf aktuellem Stand hältst und ggf. manches veränderst.

Es zeigt dich als interessierte und fachkundige Pflegeperson, bei der man sich gut aufgehoben, versorgt und beraten fühlen kann.

Und ist es nicht genau das, was eine professionelle Pflegeperson ausmachen sollte?

 

Leave a Comment

Comments

No comments yet. Why don’t you start the discussion?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert